Quelle: Zeitschrift "Krkonoše" Nr. 3/2003
Miloslav Bartoš, Vrchlabí
Übersetzung: Gustav Erlbeck, Kirchberg
Der hervorragende Kenner der geomorphologischen
Verhältnisse des Riesengebirges und Autor vieler erschienen Arbeiten über die
Formen seines Reliefs Vlastimil Pilous veröffentlichte in Krkonoše Nr. 11/ 2000
den umfangreichen Artikel "Der Hirschgrund das Tal in der Bedeutung
von Hirsch oder Löwe?". Diese gestellte Frage, die den jahrelangen Streit
um die Benennung des größten rechtsufrigen Tales im Flussbereich der Kleinen
Aupa verbirgt, klingt wie eine rhetorische Frage, die keine Antwort verlangt,
denn woher hätte man im Riesengebirge Löwen genommen. Und doch erschien mindestens
bis 1945 dieses exotische Tier gleich in zwei Nennungen.
In der ursprünglichen deutschen Terminologie bezeichnete man den das Tal durchfließenden
Bach und den Berg, Höhe 1172 m, der den Grund auf der östlichen Seite abschließt,
Löwenbach und Löwenberg. Diese ortsgebundenen Namen haben frühe historische
Wurzeln, die offensichtlich bis ins 16. Jahrhundert, zum Beginn dauerhafter
Besiedlung dieser Gebirgsgegend reichen. Einen der ersten Beweise enthält ein
Bericht der Kommission, die im Jahr 1644 den Zustand der sogenannten Trautenauer
Reservatswälder beurteilte. In der Übersicht über die Wehre Klausen, die den
Wasserfluss der Kleinen Aupa stauten nennt er zusammen mit der Messner- und
Fichtigklause (das ist auf dem Messner- und Fichtigbach) auch die Löwenklause
sicher im Bach des gleichen Namens. Diese Benennung erscheint in deutscher Gestalt
auf vielen alten Karten des Riesengebirges: Auf der anonymen Karte aus der Hälfte
des 16. Jahrhunderts mit dem ausdrücklichen "der Fluß Löwen genannt",
auf der Karte des Globitz vom Jahr 1668 (Lebenbach), auf der des Wolffsburg
vom Jahr 1701 (Leuenthal), auf der sogenannten 1. Militärkarte aus den Jahren
1764 1767 (Loewenwasser); die Indikationsskizze des stabilen Katasters vom
Jahr 1841 nennt zusammen mit dem Bach auch schon den Berg (Löwenbach, Löwenberg).
Auch die ursprünglichen Quellen, an die sich das Studium örtlicher Benennung
lehnt, z. B. der Josephinische Kataster vom Jahre 1785, führen das Löwenwasser
an, und in einer Aufzählung der obrigkeitlichen Wälder erscheint zwischen den
Namen Wassa- und Nickelberg die Bezeichnung Löwen für den künftigen Löwenberg,
die wir auch als zweiten Teil der Zusammensetzung Leischnerlöwen, dem deutschen
Namen für den Kugelbach, finden. In der deutschen Terminologie auf Touristenkarten
festigen sich dann die Bezeichnungen Löwenberg und Löwenbach. Auf Karten tschechischer
Herkunft, die sich bemühten, die Namen des Riesengebirges zu vertschechen, gelten
die Übersetzungen Löwenbach (z. B. auf der Karte des Karel Koristka vom Jahre
1878) und Löwenberg (z. B. auf der kurz vor dem 1. Weltkrieg herausgegebenen
Belohlav-Karte. Die Beispiele bis zum Jahr 1945 (resp. 1946) stehen regelmäßig
neben dem deutschen Namen des Baches. Offenbar erst in den Dreißiger-Jahren
des 20 Jahrhunderts nimmt bei den zwei Zusammensetzungen mit dem ersten Teil
auf den deutschen Karten eine dritte Benennung zu Löwengrund, die unstreitig
das ganze Tal bis zur Mündung des Baches in die Kleine Aupa kennzeichnet.
Nach der Zwangsaussiedlung der deutschen Gebirgsbewohner nach dem 2. Weltkrieg
lehnten die Autoren der neuen tschechischen Riesengebirgischen Ortsbezeichnungen
im Unterschied zu ihren Vorgängern für die Benennung des Löwengrundes des Baches
und des Berges deutsche Namen übersetzende Wortgebung ab. Der Trautenauer Stanislav
Krause und der Josef Šourek aus Petzer hielten das deutsche Löwen für eine Verstümmelung
des Ausdruckes Laube, der eine Behausung bedeutet, die sich im hiesigen Dialekt
zu Löwa änderte, und daher die ursprüngliche Bezeichnung sowie die tschechischen
Übersetzungen Löwenberg, -bach, -grund für gänzlich irrig. Stanislav Krause
schrieb in "Horské prameny" (Gebirgsquellen) im Jahre 1947 an die
Adresse Löwen-Berge: "und Löwen (Hirsch 1168 m) ist vom Vorstehenden (gemeint
Wassa-Berg, Bemerkung des Autors) durch ein schönes Hirschparadies abgeteilt,
dem verlassenen und verbotenen Löwen- (Hirsch-) Grund. Mit diesen "Löwen"
ist es so verwirrend: Wie jemand aus einer Mücke ein Kamel macht, so machte
man aus der Bude (Laube) den Löwen. Weg mit Löwen da sind Hirsche!"
Der Professor des Trautenauer Gymnasiums, opferwilliger Kenner und leidenschaftlicher
Tourist, übernahm die Erklärung des Namens aus der an die Benennung Leischner-Löwen
anlehnende Heimatwissenschaft, welcher der Etymologie Riesengebirgischer Namen
gewidmete Aufsatz die Benennung als "Wohnung oder Wohnungen des Leischner"
oder Leischnerbauden, nicht weit vom heutigen Rosenberg, erklärt. Der zweite
Teil der Zusammensetzung soll sich dann auf Bach und Berg übertragen haben.
Die Vorkriegs-Chronik von Kleinaupa des Lehrers Wilhelm Petera aber bezeichnet
mit diesem Namen, (wie wir schon ausführten) den heutigen Kugelbach, und schon
allein die Siedlungslage der Leischnerbauden ermöglicht es nicht, diese Erklärung
anzunehmen. Die Enthüllung der versteckten Bedeutung des Wortes Löwe oder Löwen
ist aber nur einer von möglichen Wegen, seinen Sinn zu entdecken. Einen anderen
deutet die Trautenauer Heimatwissenschaft an, die eine sich auf die Bergbau-Vergangenheit
des östlichen Riesengebirges stützende Anschauung ausspricht. Darnach erhielten
Löwenbach, Löwenberg und das Tal seinen Namen nach zwei steinernen Löwen, die
am Eingang in irgendwelche Stollen oder Schächte gestanden haben sollen. Die
örtlichen Gebirgsbewohner benützten die Namen in Form des dritten Falles "eim
Löwa", das ist "im Löwen". Der Chronist Petera fügt dem hinzu,
dass die Bergleute ihr Werk ("Bergwerk im Löwengrund bei Eulle") nannten.
Mit Eule ist hier offenbar der "Eulenberg" gemeint, den wir in diesem
Teil des Riesengebirges schon auf Hüttels Bildkarte in dem Abschnitt der Gipfel
zwischen den Flüssen Aupa und Kleiner Aupa finden. Hosers Karte vom Jahr 1806
und andere Karten bezeichnen so den künftigen Löwenberg. In diesem Zusammenhang
gewinnt der Bericht eines Beamten des Kuttenberger Bergwerkes vom 23. September
1609 besonderes Gewicht, der zwischen den "Gipfeln, Bergen und Gruben"
östlich von Marschendorf auch "das große Eull" anführt und wenig weiter
sagt, dass zwischen den Gipfeln des Kuhberges oberhalb von Kleinaupa auf der
linken Seite gegen Norden ebenfalls einige Mulden vorhanden sind, von denen
sich eine "Silberner Löwe nennt . . .". Der Historiker František Zuman,
der einen ausgezeichneten Text veröffentlichte und mit Bemerkungen versah, identifizierte
die "Rinne Silberner Löwe" ausgehend von weiteren erwähnten Bezeichnungen
richtig mit dem Löwengrund.
Woher nahm man und was bezeichnete erstmals diese Benennung? Unzweifelhaft ein
Bergwerk, wie weitere ähnliche Namen z. B. aus der Gegend Kuttenbergs bezeugen.
Unter vielen "tierischen", aus der heimischen Fauna schöpfenden Namen
von Gruben vermerkte der Historiker Jan Koran als einziges fremdländisches Tier
den Löwen und die Löwin, im sogenannten königlichen Bergwerksgebiet auch im
Zusammenhang mit Zusatznamen wie Schwarzen, Weißen, Roten Löwen. Im Riesengebirge
selbst ist ein ähnlicher Typ der Namen nur vereinzelt im Jahr 1590 nennen
die Verzeichnisse des Prager Münzamtes die Grube Goldener Löwe im Kolbengrund,
hier in der Nähe von Kolbendorf, die gleiche Bezeichnung trug auch einer der
Stollen in Sankt Peter. Die tschechische Benennung der Grube Silberner Löwe
konnten Bergleute freilich aus der Gegend Kuttenberg am Beginn des 17. Jahrhunderts
schon vertschecht gebracht haben. Im von deutscher Bevölkerung besiedelten Gebirge
erlangte sie dann natürlich deutsche Gestalt, die aus tschechischem Sprachgebrauch
nur den zweiten Teil der Bezeichnung übernahm das wesentliche "Löwe",
und so übertrug sich der Name des Bergwerkes in der deutschen Zusammensetzung
fortschreitend auf den Bach, den Berg und das Tal. Vom ältesten Bergwerksbetrieb
im Tal fehlen uns aber zuverlässliche Nachrichten. Nach mündlicher Überlieferung,
die der Chronist Petera niederschrieb, unterbrach der dreißigjährige Krieg die
Erznutzung im "Löwengrund unter Eulle". Die Sage erzählt, dass die
Bergleute erschlagen worden sind, damit die Erzvorräte geheim blieben. Die Arbeit
setzten bis in die Jahre 1820 1831 zwei Brüder Lahmer fort, die Arsenik
in Richtung zum Sonnengraben abbauten. Die Arbeit der Brüder vernichtete aber
ein Erdrutsch nach einem Wolkenbruch; Wassermassen drangen in die Stollen und
Schächte, einer der Brüder ging dabei zugrunde und der zweite, verarmt, nahm
sich das Leben selbst. Spuren der Grubenarbeiten und des Schmelzofens waren
noch bis ins Jahr 1924 erhalten, als die Firma Leederer aus Prag die Nutzung
neuerlich versuchte. Zwei alte Bergleute erledigten die "Aufwältigungsarbeiten"
bis ins Jahr 1925. Sie öffneten den alten Stollen, entdeckten auch den Schacht
und bemühten sich, in die Tiefe vorzudringen, aber weiteren Vorstoß verhinderte
offenbar Grundwasser. Im Glauben Gold zu finden, begab sich angeblich in den
80er Jahren des 19. Jahrhunderts an Sonn- und Feiertagen der Kleinaupaer Bergbauer
Stefan Ruse mit der Hacke in der Hand in das Tal unter der Schneekoppe und noch
vor ihm ein gewisser Richter aus Gross-Aupa. Die Chronik erzählt, dass im Kugelbach
als Folge ihrer Arbeit lange eine aufgeschüttete Halde zu bemerken war.
Auf das vergessene Werk der Brüder Lahmer machte im Jahr 1968 der Geologe Karl
Pošmourný aufmerksam. Der Geomorphologe Vlastimil Pilous fand bei seiner Forschung
den Schacht der Lahmer am Abschluss des Tales, zeichnete und beschrieb ihn (siehe
Opera Corontica 22 / 1985). Es bleibt die Frage, ob das jener Silberne Löwe
ist, oder ob es irgendwann in einen künftigen Führer von "Löwen" schon
entdeckten Benennung sein kann.
Nach dem 2. Weltkrieg übernahmen die Schöpfer der Karten nach einigen Zögern
die Auffassung des Stanislav Krause und führten in die Terminologie des östlichen
Riesengebirges den Hirschbach, -Berg und später -tal ein. Der Löwengrund aber
lebte in der Sprache der örtlichen Bewohner weiter und kehrte nach dem Jahre
1990 in die Karten als Namen des Talschlusses anstatt des Hirschgrundes zurück.
Und schließlich kennzeichnet er auf der im Jahre 2001 von der Geodäsie herausgegebenen
Karte des Riesengebirges in Übereinstimmung mit der örtlichen Tradition schon
das ganze Tal des Hirschbaches. Der Widerstreit zwischen Löwen und Hirschen
unter der Schneekoppe setzt sich also fort. Mögen unsere historischen Quellen
zuverlässig oder nur mehrweniger wahrscheinlich sein, behalten wir die Bezeichnung
Löwengrund (Bach, Berg als terminologische Denkmäler, die uns auch künftig ein
Muster für Fragen nach ihrem Sinn und Ursprung sein können, so wie zum Beispiel
Rosengarten an der Kesselkoppe oder die Schwedengräben auf dem Schwarzen Berg.