Quelle: "Der Wanderer im Riesengebirge"

Die Wassabaude

von Dr. Stetter

Angeregt durch die interessanten und hoffentlich viele Touristen aufmunternden Aufsätze des Herrn Apotheker Krauß: "Eine Wanderung durch die oberen Thäler der Aupa" in der "Wanderer im Riesengebirge", sei es mir gestattet, eines herrlichen, noch wenig bekannten, wildromantischen Seitenthales der Kleinen Aupa zu gedenken, welches von der Mohorn-Mühle aus zu zur Wassabaude führt und durch welches der Besitzer, Graf Czernien, einen guten Fußweg bauen ließ. –

Wenn wir von den Grenzbauden durch den Kleinen Aupa-Grund nach der Mohorn-Mühle wandern, so gelangen wir einige Minuten vor letzterer zum Einfluß des von Westen her kommenden Löwengrabens in die Kleine Aupa. Wir verlassen hier die Fahrstraße und verfolgen den Löwengraben.

Unseren Blicken eröffnet sich eine wildromantische enge Thalschlucht, deren hohe Abhänge teils wildes, zerrissenes Steingeröll, teils dem Windbruch zum Opfer gefallene kräftige Baumstämme, teils prächtige Lehnen mit majestätischen, dunklen Tannen bestanden zeigen. Zu beiden Seiten, dicht am Wege, breitet sich üppiges Farrenkraut und anderes frisches, duftiges Grün aus, vermischt mit geradezu unzähligen Enzian-Büschen, deren Blüten hier zum teil in so tief dunklen Violett prangen, wie ich es nur an sehr wenigen Stellen des Gebirges gefunden habe, trotzdem ich es seit mehr als 30 Jahren allsommerlich durchreiste.

Zu unserer Linken schäumt in prächtigen Kaskaden über Felstrümmer und Stämme der muntere, in diesem recht wasserreiche Löwengraben und unterhält uns in seiner lauten, gesprächigen Weise aufs angenehmste.

Nach etwa einstündiger, müheloser Wanderung öffnet sich das enge Thal, wir treten plötzlich auf eine von dunklem Waldesgrün umrahmte, wunderbar großartig wirkende, saftig grüne Waldwiese, eingeschlossen seitlich von dem steil ansteigenden Löwen- und Finkenberg, vorn von der schwarzen Koppe. – Am oberen Rande dieses herrlichen Rasen-Teppichs, etwa 500 Schritt von unserem Standpunkte entfernt, liegt die einsame, idyllische Wassabaude.

Beim Heraustreten aus dem Walde auf jene duftende Wiese mit ihrer großartigen Umgebung, bei strahlendem Sonnenschein aus wolkenlosem, blauem Himmel, wurde mein Herz so weit, so voll, daß es überströmte und sich in einem und noch einem kräftigen Jodler Luft machte. Kann der fühlende Mensch denn still bleiben, wenn so mächtige, so überwältigende Natureindrücke auf ihn einwirken? Muß er es nicht mit Klopstock hinausjubeln in alle Welt: "Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, auf die Fluren verstreut!" – denn: "Wes das Herz voll ist, läuft der Mund über!" – Aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. – Eben wollten wir das schöne Lied: "Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?" zweistimmig zu singen anfangen, als von der Baude her in barschem, erregtem und zur ganzen Szenerie möglichst disharmonischem Tone "etwas Unverständliches" geschrieen wurde, was wir uns als ein Verbot, zu singen, glaubten auslegen zu müssen. – Ehe wir uns jedoch darüber in der Baude selbst Gewissheit verschaffen konnten, sollte uns noch eine große und freudige Überraschung zu teil werden. Etwa auf der Mitte der Wiese, auf deren linker Seite an dem Waldrande der Weg führt, angelangt, erschauten wir an einer Ecke des Waldsaumes plötzlich links hoch oben über uns die Koppenhäuser! Ein prächtiger, wirklich überraschender AnbIick und ein so fesselnder, als man gerade von dieser Seite, aus solcher Tiefe und aus so engem Thalkessel den Blick direkt hinauf zu den Koppenhäusern sonst nirgends hat.

Nur allein dieses Augenblickes wegen ist die Wanderung zur Wassabaude durch das Thal des Löwengrabens (denn es führt auch noch ein anderer Weg direkt von den Grenzbauden zu ihr) dringend zu empfehlen.

Als wir in der Baude selbst angelangt waren, wurde uns "das Unverständliche" durch einen jetzt dort stationierten Forstbeamten "verständlich" gemacht. "Der Herr Graf habe zwar nichts dagegen, daß Touristen das Thal besuchen, aber solcher Lärm und Skandal sei verboten; es werde das Wild dadurch verscheucht." –

Unseren momentanen Ärger spülten wir mit guter Milch hinunter, welche uns nebst Butterbrot und Käse die freundliche, alte Wirtin darreichte und ließen uns auch sonst nicht die Freude an dem herrlichen Ausfluge verderben. Nach kurzer Rast traten wir – ganz still – den Rückweg an, mehr rückwärts als vorwärts blickend, um noch recht lange des herrlichen Koppenbildes teilhaftig zu bleiben. Von der Mohorn-Mühle fuhren wir über die Grenzbauden nach unserer alljährlichen Sommerstation Schmiedeberg zurück.

Ich kann nicht ohne den lebhaften Wunsch schließen, diese Zeilen möchten für den Leser Anregung sein, nächst den schönen Aupa-Thälern auch unseren Löwengrund zu besuchen, – bei gutem Wetter, denn die Koppe muß klar sein – aber nicht zu singen! – –

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